Found-Footage-Horrorfilme wie “The Blair Witch Project”, “Paranormal Activity” und “REC” erzeugen intensive Angst und lassen uns an der Realität zweifeln. Doch wie funktioniert diese psychologische Wirkung? Welche Mechanismen nutzen diese Filme, um uns so tief zu berühren?
Realitätsillusion
Der zentrale psychologische Trick des Found-Footage-Genres ist die vorgetäuschte Authentizität. Die Filme präsentieren sich als “gefundenes Material”, oft mit wackeliger Handkamera, improvisierten Dialogen und einer amateurhaften Ästhetik. “Cannibal Holocaust” von 1980 gilt als einer der Vorreiter dieser Technik, der das Scheitern eines Dokumentarfilmprojekts und das Überleben der Aufnahmen zeigt, und etablierte viele Konventionen, wie in Blood on the Lens dargelegt. Die diegetische Kamera, also die Kamera als Teil der Handlung, verstärkt den Eindruck, Zeuge realer Ereignisse zu sein. Diese Technik beeinflusst unsere Wahrnehmung, wie in “Found Footage Horror Films: A Cognitive Approach” (Buch) erläutert wird, und lässt die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen.
Körperliche Angstreaktionen
Obwohl unser Verstand weiß, dass es sich um Fiktion handelt, reagiert unser Körper auf die vermeintliche Bedrohung. Adrenalin wird ausgeschüttet, der Puls beschleunigt sich – die Kampf-oder-Flucht-Reaktion wird aktiviert, wie bei Healthline beschrieben. Menschen mit hoher Angstsensibilität, die körperliche Angstsymptome als bedrohlich wahrnehmen, können Found-Footage als besonders belastend empfinden. Die durch die Kameraführung erzeugte Nähe verstärkt die emotionale Intensität. In Filmen wie “Paranormal Activity” erzeugt die Überwachungsperspektive ein Gefühl des Voyeurismus, thematisiert Verletzlichkeit und erzeugt Unbehagen, wie auch bei den University of Kentucky Research Guides beschrieben.
Imagination und Angstbewältigung
Found-Footage-Horror setzt oft weniger auf explizite Gewalt, sondern auf die Imagination. Das Nicht-Gezeigte ist oft am furchteinflößendsten. Der “leere Rahmen”, ein Konzept, das in Revenant Journal in Bezug auf Filme wie “Paranormal Activity” diskutiert wird, zwingt den Zuschauer, den Bildschirm nach Bedrohungen abzusuchen, was unterschwellige Angst (“Dread”) erzeugt. Man sieht einen Raum, eine Tür, ein Fenster – und wartet angespannt darauf, dass etwas passiert. Diese Technik nutzt die menschliche Neigung, in Mustern Bedrohungen zu suchen. Found-Footage bietet auch eine kontrollierte Wiedererfahrung von Angst. Im Gegensatz zu realen Traumata können wir uns jederzeit distanzieren. Diese Kontrolle kann helfen, die Beziehung zur Angst neu zu verhandeln. Einige Studien, wie bei Danielle Rousseau, deuten auf eine kathartische Wirkung von Horrorfilmen hin, die bei der Verarbeitung komplexer Emotionen helfen kann.
Sounddesign
Das Sounddesign ist entscheidend für die Atmosphäre. Subtile Geräusche, verzerrte Stimmen und das Knistern eines Funkgeräts verstärken das Gefühl von Unmittelbarkeit und Realismus. Musik wird meist sparsam und diegetisch eingesetzt, z.B. durch ein Radio im Hintergrund. In “The Blair Witch Project” erzeugen nächtliche Geräusche wie knackende Äste und undefinierbare Laute ein Gefühl der Bedrohung, obwohl die Quelle unsichtbar bleibt. In “REC” wird das Kreischen der Infizierten, kombiniert mit dem Stimmengewirr im Treppenhaus, zu einem auditiven Albtraum, der Panik verstärkt. Diese akustischen Elemente sind, wie in HorrorMoviesReviewed beschrieben, essenziell.
Ethische Fragen
Die drastische Darstellung von Gewalt wirft ethische Fragen auf. Kritiker sehen die Gefahr der Desensibilisierung, während Befürworter die kathartische Funktion betonen, wie bei Psychology Today diskutiert. Filmemacher tragen Verantwortung, und eine kritische Reflexion ist wichtig. Mockumentaries wie “Man Bites Dog” (Film) konfrontieren uns mit der moralischen Ambivalenz des Zuschauers. Eine differenzierte Betrachtung, wie sie auch in der Edina Zephyrus zu finden ist, ist hier angebracht.
Found-Footage und Mockumentaries
Found-Footage-Filme und Mockumentaries teilen die vorgetäuschte Authentizität, unterscheiden sich aber in der Absicht. Während Found-Footage-Filme in der Regel Horror erzeugen wollen, nutzen Mockumentaries die Technik oft für humoristische oder satirische Zwecke. “What We Do in the Shadows” ist ein Beispiel für eine Mockumentary, die das Format für Komik nutzt, während “Man Bites Dog” eine moralisch verstörende Erfahrung schafft. Beide Genres, wie in den Guides at University of Pittsburgh beschrieben, spielen mit der Erwartungshaltung des Zuschauers.
Weiterentwicklung
Found-Footage entwickelt sich weiter. “Host” (Film), entstanden während der Pandemie und über Videokonferenzen gedreht, zeigt die Aktualität des Genres. “Unfriended”, der auf einem Computerbildschirm spielt, nutzt die veränderte Beziehung zum Medium, wie in Revenant analysiert. Die Nähe und Interaktivität verstärken die psychologische Wirkung.
Mehr als Schockeffekte
Found-Footage-Horror ist mehr als nur ein Genre für Schockmomente. Es ist ein psychologisches Experimentierfeld, das uns mit Ängsten konfrontiert und einen sicheren Raum zur Erkundung bietet. Es spielt mit Realität und Fiktion, Imagination und Kontrolle, wie in Michelle Parks Arbeit dargelegt. Das wahre Grauen entsteht oft in unseren Köpfen.